Mannheimer Morgen
28. Juli 1998
Im "Glücklichen Tal" in Kalifornien zeigt Scientology ihr wahres
Gesicht
Mannheimer Fernseh-Journalisten, die Lebenszeichen von
vermißten Deutschen suchen, mußten um ihr Leben fürchten
Von unserem Redaktionsmitglied Stephan Töngi
Seit den Cowboy-und-Indianer-Spielen ihrer Kindheitstage hatten Ina
Brockmann und Peter Reichelt nicht mehr mit Sheriffs zu tun. Doch dieser
Tage flatterte den Mannheimern Post von Larry D. Smith, Sheriff von
Riverside County im US-Staat Kalifornien, ins Haus. Grund: Die beiden
freiberuflichen Journalisten waren im März während der Dreharbeiten für
ihre Dokumentation über die Straflager der umstrittenen Organisation
Scientology von deren Mitarbeitern in den kalifornischen
San-Jacinto-Bergen zweieinhalb Stunden auf offener Straße gewaltsam
festgehalten worden. Nun laufen gegen die Scientology-Mitarbeiter
Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung und räuberischer Erpressung, wie
Reichelt im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt. Zu den
Hauptbeschuldigten gehört Ken Hoden, hinter David Miscavige zweiter Mann
der Organisation, die in ihrem offiziellen Namen den Begriff "Kirche"
führt, damit aber weiß Gott nichts am Hut hat.
"Jetzt ist es aus", schießt es den beiden Mannheimern durch den Kopf,
als ihnen klar wird, daß sie in der Falle sitzen. Doch der Reihe nach:
Seit Jahren schon versucht Reichelt, das wahre Gesicht von Scientology
zu zeigen. 1997 veröffentlicht er ein brisantes Buch, das von der ersten
bis zur 489. Seite eine einzige Anklage gegen Scientology darstellt. Im
Frühjahr fliegen er und seine Co-Produzentin Ina Brockmann für eine
Woche in die USA, um der Welt erstmals Aufnahmen von Zwangsarbeitslagern
der Scientologen zu liefern. Aus Deutschland haben sie mehrere Namen von
Scientologen im Gepäck, deren Verwandte seit Jahren kein Lebenszeichen
mehr erhalten haben. Darunter Wiebke Hansen, über zehn Jahre Chefin des
deutschen Ablegers von Scientology, die seit Herbst 1995 wie vom
Erdboden verschluckt ist.
In Kalifornien heuern die Mannheimer
einen Kameramann, einen ehemaligen Polizei-Sergeant sowie einen Piloten
samt Hubschrauber an und starten in Richtung "Happy Valley". Das Leben
im Tal ist - dem Namen zum Trotz - alles andere als glücklich. In seinem
Buch zitiert Reichelt aus einer eidesstattlichen Erklärung, die ein
ehemaliges Präsidiumsmitglied von US-Scientology 1994 vor Gericht
abgeben hat. André Tabayoyon ist über 21 Jahre lang nicht nur Anhänger
der leeren Lehre L. Ron Hubbards, sondern sogar sein Butler gewesen, ehe
er Ende 1992 - nun Sicherheitsdirektor - aussteigt. Die Lager bezeichnet
er als "vom Typus her mit einem 'Gulag' oder 'Konzentrationslager' zu
vergleichen".
Im wüstenähnlichen "Glücklichen Tal" sollen sich mehrere geheime
kleine Straf- und Arbeitslager befinden. Laut Tabayoyon werden dort
hochrangige Scientologen interniert, die an der Lehre zu zweifeln
beginnen, sowie Mitglieder der Elite-Einheit "Sea Organization"
(See-Organisation). Rund um die Uhr stünden sie unter Bewachung
bewaffneter Aufseher, die sie zur Arbeit zwängen. Zusätzlich würden sie
täglich stundenlanger Gehirnwäsche unterzogen. In "Happy Valley" soll
auch Hubbards Sohn Arthur nach dem Tod seines Vaters für ein Jahr
versteckt worden sein, als er aus der "Sea Org" aussteigen wollte. Laut
Tabayoyon leben in den Lagern heute 60 Kinder und Jugendliche sowie 30
Erwachsene.
Am späten Morgen des des 9. März fliegen
die beiden neugierigen Deutschen von Palm Desert aus in 40 Minuten zu
dem streng geheimen Lager. Aus luftiger Höhe erkennen sie über 20 Kinder
und Jugendliche. "Als die Betreuer unseren Helikopter bemerken, treiben
sie die Lagerinsassen schnell in die Baracken", erzählt Reichelt.
"Sofort setzen sich mehrere Jeeps in Bewegung, um uns vom Boden aus zu
verfolgen." Reichelt und seine Crew umkreisen das Gelände und lassen die
Kameras laufen. Dann kehren sie zum Flugplatz zurück. Dort werden sie
schon erwartet ...
Mit dem Wagen geht es - verfolgt und bedrängt von vier Pkw und Jeeps,
fotografiert und gefilmt von Scientologen - noch einmal Richtung "Happy
Valley". Vorbei an "Gold", dem geheimen Sitz von Scientology-Chef
Miscavige in Gilman Hot Springs. Der Name des mit schweren Waffen
bewachten Geländes rührt daher, daß - laut Tabayoyon - Scientology dort
seinen Reichtum in Goldbarren unterirdisch aufbewahrt.
Auf einer öffentlichen Straße durchqueren
die Mannheimer ein Indianerreservat. Dabei erinnern sie sich an die
Warnung des deutschen Konsulats in Los Angeles, diese Gebiet "wegen der
etwas schießwütigen Indianer" nur mit kugelsicherer Weste zu besuchen.
Doch die Gefahr lauert woanders: Plötzlich muß Ina Brockmann auf die
Bremse steigen - ein gelber Bulldozer blockiert die Straße, rechts und
links umrahmt von mächtigen Bäumen, so daß kein Entrinnen mehr möglich
ist. Dahinter stehen zwei Autos. Brockmann versucht zu wenden, doch die
Verfolger sowie ein weißer Lieferwagen schneiden den Rückweg ab. Männer
springen aus den Autos und umzingeln den Wagen der Eindringlinge in die
geheime Welt von Scientology - die sich, wie gesagt, auf einer
öffentlichen Straße bewegen. "Ihr seid Deutsche, Ihr seid alle
festgenommen", schreit der Anführer, der sich als Scientologen-Vize Ken
Hoden zu erkennen gibt. Mit fünf bewaffneten Männern versucht er,
Brockmann und Reichelt einzuschüchtern. Sein Ziel: die Herausgabe der
Filmkassetten. Hoden überreicht seine Visitenkarte und fragt, was die
Journalisten suchen. "Spurlos verschwundene Scientologen, darunter
Wiebke Hansen", antwortet Brockmann, "und wir vermuten, daß sie in Happy
Valley steckt." Hoden bestätigt die Vermutung: "Ja, sie ist hier zur
Rehabilitierung."
Nur will er niemanden zu ihr lassen. Ein
Wort gibt das andere, bis Hoden alle Deutschen warnt, in die Nähe eines
Scientology-Geländes zu kommen: "Jedem Deutschen wird das gleiche wie
Euch passieren. Deutschland ist unser Hauptfeind Nr. 1, besonders hier
in Kalifornien."
Zweieinhalb Stunden dauert der Psychoterror mit dem unübersehbaren
Hinweis auf Schlagstöcke und Pistolen. Dann trifft endlich der Sheriff
ein. Zuerst glaubt er Ken Hoden, der behauptet, Reichelt sei zu tief
über ihr Gelände geflogen und habe dessen Bewohner gefährdet. Der
Mannheimer wehrt sich und erzählt von der Strassensperre mit dem
quergestellten Bulldozer - doch der ist längst abgedampft. Erst als
Reichelt die Aufnahmen seiner Digitalkamera vorspielt, nimmt der Mann
mit dem Stern Hoden sowie drei weitere Scientologen - die anderen haben
sich aus dem Staub gemacht - fest. Da sie einen festen Wohnsitz
nachweisen können, kommen sie wieder auf freien Fuß.
Nach der Befreiung durch den Sheriff ist noch nicht aller Abenteuer
Abend. Rund um die Uhr werden Brockmann und Reichelt in Los Angeles aus
vier Autos heraus beschattet, die ihnen im Abstand von einem Meter und
mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf den Pelz rücken. Mit Hilfe der
Polizei gelingt es, die Verfolger abzuschütteln. "Erstmals in meinem
Leben hatte ich Angst", gesteht Peter Reichelt, "obwohl ich mit Dietmar
Schönherr in Nicaragua im Kriegsgebiet war." Heute gibt er zu: "Ich
hatte die Gefahr absolut unterschätzt." Seine Filme, auch von weiteren
Straflagern in Hollywood nahe des Scientology-Geheimdienstes sowie in
Clearwater/Florida, bringt er unbeschädigt nach Mannheim. Dieser Tage
zeigt der US-Sender ABC in New York 60 Minuten davon. Im Herbst werden
die Aufnahmen auch im deutschen Fernsehen laufen.
"Ich bin sicher kein James Bond, obwohl ich wie einer gehandelt
habe", sagt Reichelt. Immerhin hat er Wiebke Hansens Bruder Jochen zur
Erkenntnis verholfen, daß seine Schwester lebt. Zwischenzeitlich kam
eine Postkart aus den USA, in der sie schreibt: "Mir geht es gut, mach'
Dir keine Sorgen, ich bin bald wieder draußen, wenn hier mein
Entwicklung weiter so gut vorangeht." Dann nennt sie eine Telefonnummer,
über die die beiden Geschwister schon miteinander Kontakt aufgenommen
haben. Die Nummer gehört zu Mike Rinder, dem Direktor des berüchtigten
Scientology-Geheimdienstes in Los Angeles.
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